Ein letzter Tango (Originaltitel Un tango más, international auch Our Last Tango) ist ein argentinisch-deutscher Dokumentarfilm von German Kral aus dem Jahr 2015. Im Mittelpunkt stehen die berühmten Tangotänzer María Nieves Rego und Juan Carlos Copes, die über Jahrzehnte hinweg gemeinsam tanzten, große Bühnen eroberten und dabei eine intensive, oft konfliktreiche Beziehung führten. Der Film verbindet Interviews mit künstlerisch inszenierten Tanzszenen, die ihre Erinnerungen sichtbar machen, und zeichnet so ein Porträt über Liebe, Kunst, Arbeit und Vergänglichkeit.
Inhalt und Erzählweise
Der Film erzählt die Geschichte von Nieves und Copes von den Anfängen in Buenos Aires bis zu internationalen Erfolgen in Europa und den USA. Beide schildern getrennt voneinander ihre Sicht. Ihre Erinnerungen widersprechen sich oft, ergänzen sich aber zugleich. Dazwischen stehen Tanzszenen eines jungen Ensembles, das entscheidende Momente ihrer Biografie in Bewegung übersetzt. So entsteht ein Wechsel zwischen Reflexion, Erinnerung und künstlerischer Darstellung.
Die Erzählweise beruht auf drei Ebenen: den persönlichen Interviews, den rekonstruierten Tanzsequenzen und historischem Archivmaterial. Diese Ebenen greifen ineinander, sodass ein Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart entsteht.
Entstehung und Produktion
Regie führte German Kral, geboren in Buenos Aires und seit Jahren in Deutschland tätig. Produziert wurde der Film als Koproduktion zwischen Argentinien und Deutschland. Beteiligt waren mehrere Produktionsfirmen aus beiden Ländern. Wim Wenders trat als ausführender Produzent auf. Die Kamera führten Jo Heim und Félix Monti, die Musik stammt unter anderem von Luis Borda, dem Sexteto Mayor und Gerd Baumann. Die Laufzeit beträgt je nach Fassung rund 85 Minuten.
Die Protagonisten
María Nieves und Juan Carlos Copes gelten als Legenden des Tangos. Sie lernten sich als Jugendliche kennen, wurden Tanz- und Lebenspartner, trennten sich privat, blieben aber auf der Bühne verbunden. Gemeinsam trugen sie den Tango aus den kleinen Milongas von Buenos Aires auf internationale Bühnen. Im Film blicken sie im hohen Alter zurück: Nieves direkt und selbstbewusst, Copes schwankend zwischen Stolz und Verletzlichkeit. Aus ihren sehr unterschiedlichen Erzählungen entsteht ein lebendiges Bild einer Partnerschaft, die künstlerisch von Weltrang war und menschlich voller Brüche.
Tänzerinnen, Tänzer und Darstellung
Ein junges Ensemble verkörpert die jüngeren Versionen von Nieves und Copes. Dazu gehören unter anderem Ayelén Álvarez Miño und Juan Malizia, die zentrale Szenen nachtanzen. Ihre Arbeit ist keine reine Nachstellung, sondern eine künstlerische Interpretation. So wird spürbar, wie Gefühle, Erinnerungen und Tanz ineinander übergehen.
Musik und Choreografie
Der Film lebt von seiner Musik. Klassische Tangos wechseln mit modernen Arrangements. Luis Borda, das Sexteto Mayor und Gerd Baumann prägen den Klang. Die Choreografien greifen Aussagen der Interviews auf: Worte über Leidenschaft oder Streit finden ihre Entsprechung in Bewegungen – mal weich und nah, mal hart und abweisend. Auf diese Weise wird Musik nicht nur Begleitung, sondern erzählerisches Mittel.
Kamera und visuelle Gestaltung
Die Kamera bewegt sich zwischen Intimität und Weite. Nahaufnahmen zeigen Gesichter und Hände, weite Einstellungen die Tanzsäle und Bühnen. Warmes Licht prägt die Interviews, stärkere Kontraste die Tanzbilder. Der Schnitt folgt dem Rhythmus des Tangos: beschleunigen, innehalten, wieder vorwärts. So erhält die filmische Form selbst eine tänzerische Struktur.
Veröffentlichung
Seine internationale Premiere feierte der Film 2015. In die deutschen Kinos kam er am 7. April 2016. Später folgten Ausstrahlungen im Fernsehen, darunter 2018 auf arte. Auch auf Festivals wurde er gezeigt und erreichte ein Publikum weit über die Tangoszene hinaus.
Auszeichnungen
2015 erhielt Kameramann Jo Heim den Bayerischen Filmpreis für die Bildgestaltung. Auch bei Festivalvorführungen wurde die ästhetische Kraft des Films positiv hervorgehoben. Kritiker betonten die Mischung aus persönlicher Offenheit, Eleganz der Inszenierung und Liebe zum Detail.
Zentrale Themen
Roter Faden sind drei große Themen:
◦ Liebe – als persönliche Erfahrung, als Energie auf der Bühne, als Quelle von Nähe und Enttäuschung.
◦ Arbeit – als tägliche Disziplin, als Kampf zwischen zwei starken Persönlichkeiten, als Aushandlung von Technik und Ausdruck.
◦ Erinnerung – als Form von Versöhnung, als Neuordnung der Vergangenheit, als Möglichkeit, die eigene Geschichte neu zu erzählen.
Der Film lässt diese Themen nebeneinanderstehen, ohne sie aufzulösen.
Tango im historischen Kontext
Über die persönlichen Erlebnisse hinaus öffnet der Film den Blick auf die Geschichte des Tangos seit den 1950er-Jahren. Er zeigt, wie der Tanz von den Ballsälen in internationale Theater wanderte, wie sich Ästhetik und Rollenbilder wandelten und wie Musiker wie Astor Piazzolla den Tango erneuerten. Damit wird die Geschichte von Nieves und Copes zugleich zur Geschichte einer Kultur, die weltweit Bedeutung gewann.
Rezeption
Das Echo war überwiegend positiv. Kritikerinnen und Kritiker lobten die Offenheit der Interviews, die Eleganz der Bilder und den klugen Einsatz von Tanz als Erzählform. Besonders hervorgehoben wurde die Balance zwischen persönlichem Drama und universeller Aussage. Der Film fand nicht nur in der Tangoszene, sondern auch beim allgemeinen Publikum Beachtung, da er Fragen nach Liebe, Arbeit und Lebenswegen aufwirft, die über den Tanz hinausgehen.
Bedeutung und Wirkung
Ein letzter Tango ist mehr als ein Dokumentarfilm über zwei Künstler. Er ist ein Nachdenken über Erinnerung und Vergänglichkeit, über das, was bleibt, wenn die Lichter ausgehen. Der Tango erscheint als Metapher für Nähe und Distanz, für Führung und Hingabe, für Leben und Kunst. Nieves und Copes begegnen sich im Film nicht mehr direkt, aber ihre Stimmen und die Körper der jungen Tänzer halten den Dialog lebendig.
Fazit
Der Film bleibt im Gedächtnis, weil er keine einfachen Antworten gibt. Er zeigt Größe und Bruch, Liebe und Streit, Kunst und Alltag. Er macht sichtbar, wie sehr Tanz ein Leben prägen kann – und wie Erinnerung zur letzten Bühne wird. Der Titel deutet an: Jeder Tango könnte der letzte sein, und gerade deshalb ist jeder, der noch getanzt wird, von besonderem Gewicht.







